(für Clara) Der stillste Tag im Jahr
Rainer Maria Rilke (1875-1926)
(für Clara) Der stillste Tag im Jahr
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr.
Da hörst du alle Herzen gehn und schlagen
wie Uhren, welche Abendstunden sagen.
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr.
Da werden alle Kinderaugen groß,
als ob die Dinge wüchsen, die sie schauen
und mütterlicher werden alle Frauen
und alle Kinderaugen werden groß.
Da mußt du draußen gehn im weiten Land
willst du die Weihnacht sehn, die unversehrte,
als ob dein Sinn der Städte nie begehrte,
so mußt du draußen gehn im weiten Land.
Dort dämmern große Himmel über dir,
die auf entfernten, weißen Wäldern ruhn,
die Wege wachsen unter deinen Schuhn,
und große Himmel dämmern über dir.
Und in den großen Himmeln steht ein Stern,
ganz aufgeblüht zu selten großer Helle,
die Fernen nähern sich wie eine Welle,
und in den großen Himmeln steht ein Stern.
The quietest day of the year
Christmas, the quietest day of the year.
Of every heart you can hear the pulse,
like the evening hours that a timepiece tells:
Christmas, the quietest day of the year.
The children stare and their eyes are wide
as if things grew by a power supernal,
and all the mothers are more maternal:
the children stare and their eyes are wide.
You must go out in the countryside
if you want to see Christmas unimpaired:
as if for cities you never have cared,
you must go out in the countryside.
Great skies are twilit above your head,
at peace over white and distant woods:
the paths grow wider under your boots.
Great skies are twilit above your head.
And in the great skies there stands a star,
with a rare great brightness it has risen.
A wave comes in, it’s the far horizon,
and in the great skies there stands a star.
Translation: Copyright © Timothy Adès