I’ll softly steal

Weißt du, ich will mich schleichen

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Weißt du, ich will mich schleichen
Weißt du, ich will mich schleichen leise aus lautem Kreis, wenn ich erst die bleichen Sterne über den Eichen blühen weiß. Wege will ich erkiesen, die selten wer betritt in blassen Abendwiesen? und keinen Traum, als diesen: Du gehst mit.
I’ll softly steal
I’ll softly steal from the circle’s noise seeing the pale star flowers rise above oak-trees. I’ll choose ways lonely, who treads them, who in dusk-dim leas? and this dream only: you come too.

Translation: Copyright © Timothy Adès

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I grasped my angel, not letting him go

Ich liess meinen Engel lange nicht los

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Ich liess meinen Engel lange nicht los
Ich liess meinen Engel lange nicht los, und er verarmte mir in den Armen und wurde klein, und ich wurde groß: und auf einmal war ich das Erbarmen, und er eine zitternde Bitte bloß. Da hab ich ihm seine Himmel gegeben,- und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand; er lernte das Schweben, ich lernte das Leben, und wir haben langsam einander erkannt...
I grasped my angel, not letting him go
I grasped my angel, not letting him go, and in his arms he was holding me and he diminished as I did grow: I was mercy, he was a trembling plea. And there and then I gave him his heaven, - he went from the field, and was suddenly gone; and he learnt flying, and I learnt living: we knew one another as time went on.

Translation: Copyright © Timothy Adès

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The quietest day of the year

(für Clara) Der stillste Tag im Jahr

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

(für Clara) Der stillste Tag im Jahr
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr. Da hörst du alle Herzen gehn und schlagen wie Uhren, welche Abendstunden sagen. Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr. Da werden alle Kinderaugen groß, als ob die Dinge wüchsen, die sie schauen und mütterlicher werden alle Frauen und alle Kinderaugen werden groß. Da mußt du draußen gehn im weiten Land willst du die Weihnacht sehn, die unversehrte, als ob dein Sinn der Städte nie begehrte, so mußt du draußen gehn im weiten Land. Dort dämmern große Himmel über dir, die auf entfernten, weißen Wäldern ruhn, die Wege wachsen unter deinen Schuhn, und große Himmel dämmern über dir. Und in den großen Himmeln steht ein Stern, ganz aufgeblüht zu selten großer Helle, die Fernen nähern sich wie eine Welle, und in den großen Himmeln steht ein Stern.
The quietest day of the year
Christmas, the quietest day of the year. Of every heart you can hear the pulse, like the evening hours that a timepiece tells: Christmas, the quietest day of the year. The children stare and their eyes are wide as if things grew by a power supernal, and all the mothers are more maternal: the children stare and their eyes are wide. You must go out in the countryside if you want to see Christmas unimpaired: as if for cities you never have cared, you must go out in the countryside. Great skies are twilit above your head, at peace over white and distant woods: the paths grow wider under your boots. Great skies are twilit above your head. And in the great skies there stands a star, with a rare great brightness it has risen. A wave comes in, it’s the far horizon, and in the great skies there stands a star.  

Translation: Copyright © Timothy Adès

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As the clouds shuffle

Wandelt sich rasch auch die Welt

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Wandelt sich rasch auch die Welt
Wandelt sich rasch auch die Welt wie Wolkengestalten, alles Vollendete fällt heim zum Uralten. Über den Wandel und Gang, weiter und freier, währt noch dein Vor-Gesang, Gott mit der Leier. Nicht sind die Leiden erkannt, nicht ist die Liebe gelernt, und was im Tod uns entfernt, ist nicht entschleiert. Einzig das Lied überm Land heiligt und feiert.
As the clouds shuffle
As the clouds shuffle, swift is the world’s changing: all things in fullness drift, fall, find the Ancient. Changing and ranging be wider and freer: constant thy melody, God with the lyre. Griefs are unnoticed and love’s lore untended. How we’re unfriended by death, no hand unveils. Only the song in the land hallows and hails.

Translation: Copyright © Timothy Adès

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play the old songs love please

Kannst Du die alten Lieder noch spielen?

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Kannst Du die alten Lieder noch spielen?
Kannst Du die alten Lieder noch spielen? Spiele, Liebling. Sie wehn durch mein Weh wie die Schiffe mit silbernen Kielen, die nach heimlichen Inselzielen treiben im leisen Abendsee. Und sie landen am Blütengestade, und der Frühling ist dort so jung. Und da findet an einsamen Pfade vergessene Götter in wartender Gnade meine müde Erinnerung.
play the old songs love please
play the old songs love please through my grief they go like silver keels to secret isles in the sunset’s glow, landing at flowery quays in the youth of spring. and on lonely ways dimmed gods will grace my remembering.

Translation: Copyright © Timothy Adès

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Yrjö Kilpinen sings Kannst du die alten Lieder noch spielen? https://www.youtube.com/watch?v=7TRzAx8usSU

Early Spring

Vorfrühling

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Vorfrühling
Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung an der Wiesen aufgedecktes Grau. Kleine Wasser ändern die Betonung. Zärtlichkeiten, ungenau, greifen nach der Erde aus dem Raum. Wege gehen weit ins Land und zeigens. Unvermutet siehst du seines Steigens Ausdruck in dem leeren Baum.
Early Spring
Stiffness, gone. And now a softness settles on the fields’ grey cover. Little streams try out new noises. Indeterminate caresses reach for Earth from somewhere over. Lanes run clear across the land. Spring is suddenly at hand: on the bare tree, see its traces.

Translation: Copyright © Timothy Adès

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See, they shall Live and Multiply

Denn, sieh: sie werden leben und sich mehren

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

From: The Book of Poverty and Death
Denn, sieh: sie werden leben und sich mehren
Denn sieh: sie werden leben und sich mehren und nicht bezwungen werden von der Zeit, und werden wachsen wie des Waldes Beeren den Boden bergend unter Süßigkeit. Denn selig sind, die niemals sich entfernten und still im Regen standen ohne Dach; zu ihnen werden kommen alle Ernten, und ihre Frucht wird voll sein tausendfach. Sie werden dauern über jedes Ende und über Reiche, deren Sinn verrinnt, und werden sich wie ausgeruhte Hände erheben, wenn die Hände aller Stände und aller Völker müde sind.
See, they shall Live and Multiply
See, they shall live and multiply, nor shall they be by time constrained; like forest berries, bounteously, and in their sweetness cloak the ground. For blest are they who would not roam, who in the rain stood roofless, mute: to them shall all the vintage come, to them a thousandfold, the fruit. They shall endure beyond all ends, all wealth whose meaning drains away, to rise up like well-rested hands when ranks’ and peoples’ hands decay.

Translation: Copyright © Timothy Adès

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He and She

Die Beiden

Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)

Die Beiden
Sie trug den Becher in der Hand - Ihr Kinn and Mund gleich seinem Rand - So leicht and sicher war ihr Gang, Kein Tropfen aus dem Becher sprang. So leicht and fest war seine Hand: Er ritt auf einem jungen Pferde, Und mit nachlässiger Gebärde Erzwang er, dass es zitternd stand. Jedoch, wenn er aus ihrer Hand Den leichten Becher nehmen sollte, So war es beiden allzu schwer: Denn beide bebten sie so sehr, Dass keine Hand die andre fand Und dunkler Wein am Boden rollte.
He and She
Curved her lip, and curved the cup carried safely in her hand; sure and easy was her tread, not a single drop was shed. Sure and steady was his hand, and his horse high-spirited; he with mastery pulled up, made the startled creature stand. Did the strong hand grasp the cup that the fair one offered up? It was not done easily. How they trembled, he and she! Hand by hand was never found, and the dark wine stained the ground.
Jean Cassou, imprisoned by the Nazis, translated ‘Die Beiden’ into French. For his version, and for the words of Louis Aragon, please see Jean Cassou, Sonnet 9, Elle et Lui, on this website. From the book: Jean Cassou, ‘33 Sonnets of the Resistance’, Arc Publications.

Translation: Copyright © Timothy Adès

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Over your closed eyes

Über deine Augenlider

Richard von Schaukal (1874-1942)

Über deine Augenlider
Über deine Augenlider zärtlich sacht strich mit weichem Flaumgefieder der Wundervogel der Nacht. Seine grossen grünen Schwingen sind von Träumen schwer. Horch: er will singen von Palmenwäldern und seltnen süssen Dingen... weit weit kommt er her ...
Over your closed eyes
Over your closed eyes gentle, tender, fluffy-plumed he flies, the Night-Bird-Wonder. ⁠ Great and green he swings, dreams are his load. Listen, as he sings, far from his abode, of palm-groves and rare, sweet things.

Translation: Copyright © Timothy Adès

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Early Spring

Vorfrühling

Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)

Vorfrühling
Es läuft der Frühlingswind Durch kahle Alleen, seltsame Dinge sind In seinem Wehn. Er hat sich gewiegt, Wo Weinen war, Und hat sich geschmiegt In zerrüttetes Haar. Er schüttelte nieder Akazienblüten Und kühlte die Glieder, Die atmend glühten. Lippen im Lachen Hat er berührt, Die weichen und wachen Fluren durchspürt. Er glitt durch die Flöte Als schluchzender Schrei, An dämmernder Röte flog er vorbei. Er flog mit Schweigen Durch flüsternde Zimmer Und löschte im Neigen Der Ampel Schimmer. Es läuft der Frühlingswind Durch kahle Alleen, Seltsame Dinge sind In seinem Wehn. Durch die glatten Kahlen Alleen Treibt sein Wehn Blasse Schatten. Und den Duft, Den er gebracht, Von wo er gekommen Seit gestern nacht.
Early Spring
The wind of spring Runs barren ways: Rare burdening The wind conveys. Where tears are shed, Himself he lulls And makes his bed In unkempt curls. He sprinkles low Acacia blooms And cools the glow Of gasping limbs. Lips in laughter He gently feels, Scouring softer The lively fields. In flutes he slips A sobbing cry: Dawn has pink tips As he flies by. Silent he ranges As rooms murmur, Stoops and expunges Vases’ glimmer. The wind of spring Runs barren ways: Rare burdening The wind conveys. Along the bald Bare avenues Shadows, pallid, Drifting, he blows. And perfume Floods his flight Whence he came Last night.

Translation: Copyright © Timothy Adès

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